Am Thürnlhof

 

Wer rettet Österreich vor diesen Rettern?

  • RSS

Archives

Posted by Allé Wilfried Sunday, September 4, 2022 10:01:00 AM Categories: Katastrophenhilfe Steuern, Finanzen
Rate this Content 1 Votes
Die vergangene Woche war eine Anleitung dafür, wie man ef­fi­zient Miss­trauen zwi­schen Wähler­volk und Poli­ti­kern schürt.

https://www.sn.at/politik/innenpolitik/leitartikel-wer-rettet-oesterreich-vor-diesen-rettern-126470767

Sie hätten gemeinsam vor die Kameras treten können, der Kanzler, der Finanz­minister, die Energie­ministerin und der Wiener Bürger­meis­ter. Sie hät­ten ge­mein­sam ver­kün­den kön­nen, dass sie in kons­truk­ti­ver An­stren­gung die be­droh­liche Schief­lage der Wien Ener­gie ge­rade­ge­rückt und die Ver­sor­gung der zwei Mil­li­onen Kund­innen und Kun­den des größten Ener­gie­liefe­ranten des Lan­des sicher­ge­stellt ha­ben. Sie hätten da­für mög­licher­weise Applaus der Men­schen er­halten.

Sie hätten, aber sie haben nicht. Kanzler und Finanz­minister ver­kün­deten die Ret­tung der Wien Ener­gie in einer Solo­ver­an­stal­tung, ließen dabei (anders als die grüne Ener­gie­mi­nis­terin) manch böse Spitze ge­gen die rote Wiener Stadt­re­gie­rung vom Sta­pel und stell­ten kühn die Ver­mutung in den Raum, dass es im Wie­ner Um­feld mögli­cher­weise Mil­liarden­speku­lationen ge­geben haben könnte. Die SPÖ re­van­chierte sich um­gehend, indem sie der ÖVP die Insze­nie­rung einer "Schmutz­kam­pagne" so­wie "Meuchel­pro­pa­gan­da" vor­warf und dem Bundes­kanz­ler aus­rich­tete, "in der Poli­tik nichts ver­loren zu haben".

Man rieb sich die Augen: Da hatten es Bund und Stadt Wien soeben mit ver­einten Kräf­ten ge­schafft, am grü­nen Tisch ein exis­tenz­be­dro­hendes Pro­blem in Re­kord­zeit zu lösen. Doch statt den Men­schen die gute Nach­richt in ent­spre­chen­der Weise zu über­brin­gen, über­schüt­te­ten ein­ander die Ver­handlungs­par­tner mit Vor­wür­fen ruf­schädi­gends­ter Art. Wenn je­mand nach einem Re­zept da­für sucht, wie Miss­trauen in Poli­tik und Poli­ti­ker am effi­zien­testen ge­schürt wer­den kann: Hier ist es, und es ist ab­surd, dass es die Be­trof­fenen - näm­lich die Poli­ti­ker - selbst sind, die mit ihrem Ver­hal­ten die­ses Miss­trauen schüren.

Dies übrigens nicht nur rund um die Rettung der Wien Energie, sondern auch bei jeder anderen sich bie­ten­den Ge­legen­heit, und wer es nicht glaubt, der möge sich die im TV live über­tra­genen Natio­nal­rats­debat­ten an­hören. Keine Rede mehr da­von, um der ge­mein­sa­men Sache wil­len auf par­tei­po­li­ti­sche Win­kel­züge zu ver­zich­ten, wie es bei­spiels­weise in den ers­ten Wo­chen der Pan­demie der Fall war. Die herbst­liche Krise, vor der wir stehen, wird un­se­rer Ge­sell­schaft min­des­tens so viel ab­ver­langen wie die­ser erste bit­tere Lock­down. An­ders als da­mals haben wir es heute mit einer poli­ti­schen Klasse zu tun, deren An­ge­hörige agie­ren, als hät­ten sie das Aus­maß der Krise nicht be­griffen.

Wie das bei den Bürgerinnen und Bürgern ankommt, geht aus einschlägigen Umfragen hervor. Das Ver­trauen in poli­ti­sche Ins­ti­tu­tionen ist an einem Tief­punkt an­ge­langt, die meis­ten Poli­ti­ker be­fin­den sich in den di­ver­sen Ver­trauens­rankings auf dem ste­ten Weg in den Minus­be­reich. Das Miss­trauen wu­chert in verti­ka­ler Rich­tung zwi­schen den Men­schen und der Po­li­tik - und es wu­chert in hori­zon­ta­ler Rich­tung zwi­schen den ein­zel­nen poli­ti­schen Par­teien.

Während sich Grüne und Neos zumeist in wohltuender Sach­lich­keit üben, haben vor allem die Pro­pa­gan­da­ab­tei­lungen von ÖVP, SPÖ und FPÖ im­mer noch nicht ver­stan­den, dass sie sich selbst be­schmutzen, wenn sie den an­deren mit Schmutz be­werfen. "Schein­heilig­keit" und "Armuts­zeug­nis" fällt der türki­sen General­sekre­tä­rin Laura Sachs­lehner zur SPÖ ein. "Lü­gen und Falsch­infos", ze­tert der rote Partei­sekre­tär Christian Deutsch gegen die ÖVP. Eine "nieder­träch­tige Täu­schungs­stra­te­gie" ortet der blaue Partei­chef Herbert Kickl bei SPÖ, ÖVP und Grünen. Fort­setzung folgt mit Sicher­heit.

Kein Wunder, dass in diesem Klima einige der Mitte-rechts- bis Rechts-außen-Kan­di­daten für die Bun­des­prä­si­dent­schaft die Ab­sicht be­kundet haben, im Falle ihres Wahl­siegs als erste Amts­hand­lung die Bun­des­re­gie­rung zu ent­las­sen. Das wäre zwar ein glat­ter Staats­streich und wür­de Öster­reich auf den Sta­tus einer Bana­nen­repu­blik zu­rück­wer­fen, aber das scheint die Her­ren nicht an­zu­fech­ten. Wir haben es weit ge­bracht, wenn Be­wer­ber um die Bundes­prä­si­dent­schaft zu Recht an­nehmen dür­fen, mit der­lei An­kün­di­gungen Stim­men zu machen.

Apropos Präsidentschaft: Die mit großer Wahr­schein­lich­keit be­vor­ste­hende Wieder­wahl des amtie­ren­den Bundes­prä­si­den­ten wäre eine gute Ge­legen­heit für die po­li­ti­schen Ak­teure, den großen Reset-Knopf zu drücken. Und zu­min­dest zu ver­suchen, sich in den kom­men­den nicht ganz ein­fachen Zei­ten einer bes­seren poli­ti­schen Kul­tur zu be­flei­ßigen.

Comments are closed on this post.